top of page

AD(H)S & Achtsamkeit – Meine ganz persönliche Entdeckung einer wirksamen Praxis

  • Autorenbild: Irina Schneider
    Irina Schneider
  • vor 7 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
Bei meiner täglichen Meditation
Bei meiner täglichen Meditation

Achtsamkeit war für mich viele Jahre ein Begriff, mit dem ich kaum etwas anfangen konnte. Wenn ich meine Teilnehmenden heute in Kursen oder Seminaren frage, was Achtsamkeit für sie bedeutet, ist es meist ähnlich: Viele wissen wenig darüber, manche gar nichts – doch ein paar haben Achtsamkeit auch bereits in ihren Alltag integriert. Und genau das finde ich ermutigend. Denn gerade für Menschen mit AD(H)S kann Achtsamkeit ein wertvoller Anker sein.

Dabei habe ich selbst diese Form der Selbstfürsorge erst spät für mich entdeckt. Ich hatte Achtsamkeit und Meditation lange als etwas Esoterisches abgestempelt. „Ich kann doch nicht einfach da sitzen und nichts denken“, war mein Standardsatz. Meine Gedanken waren immer da – wie bei vielen AD(H)Sler:innen. Erst in meiner eigenen AD(H)S-Therapie hat mein Arzt mir vor vielen Jahren erklärt, dass Achtsamkeit gar nichts damit zu tun hat, nicht zu denken. Wir denken immer. Es geht vielmehr darum, im Hier und Jetzt zu sein. Und dieser Gedanke hat mich neugierig gemacht.


Von der Skepsis zur Neugier – und schließlich zur Überzeugung


Wenn man sich intensiver mit AD(H)S beschäftigt, stößt man unweigerlich immer wieder auf Themen wie Atemübungen, Meditation, Yoga oder Entspannungsverfahren. Und je mehr ich mich mit AD(H)S auseinandergesetzt habe, desto häufiger begegnete mir das Wort „Achtsamkeit“. Es gibt Yogakurse speziell für AD(H)Sler:innen, ganze Achtsamkeitsprogramme für AD(H)S und unzählige Hinweise aus der Forschung, dass Achtsamkeit für Menschen mit AD(H)S eine besondere Wirkung hat.

Und, wie das bei mir so ist: Wenn mich etwas packt, dann richtig. Also habe ich mich hineingekniet – und bin heute ein echter Fan von Achtsamkeit.

Achtsamkeit lässt sich nämlich überall praktizieren. Man muss sich dafür nicht einmal still hinsetzen. Jon Kabat-Zinn, der Achtsamkeit in der westlichen Welt bekannt gemacht hat, beschreibt sie als eine bestimmte Art aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu urteilen. Das stammt ursprünglich aus der buddhistischen Tradition, die Achtsamkeit eng mit Wohlbefinden und innerer Zufriedenheit verbindet.

Gerade als AD(H)Slerin wurde ich hellhörig, weil mich in der Auseinandersetzung mit Achtsamkeit überall das Wort Aufmerksamkeit ansprang. AD(H)S bedeutet schließlich ein Aufmerksamkeitsdefizit – jedenfalls laut offizieller Bezeichnung. Und plötzlich erkannte ich, wie eng das Thema Achtsamkeit mit den zentralen Herausforderungen von AD(H)S verbunden ist.


Warum Achtsamkeit für AD(H)S so wertvoll ist


ree

Wenn wir Achtsamkeit praktizieren, schulen wir bewusst unsere Wahrnehmung, unsere Aufmerksamkeit und letztlich unsere Konzentration. Diese drei Begriffe hängen eng miteinander zusammen, und genau hier liegen viele Schwierigkeiten von AD(H)Sler:innen.

Ich praktiziere Achtsamkeit seit mehreren Jahren – und ich habe am eigenen Körper erlebt, dass sich dadurch meine Aufmerksamkeitssteuerung und meine Konzentrationsfähigkeit deutlich verbessert haben. Besonders bei Aufgaben, die mir weniger liegen oder langweilig erscheinen, hilft mir Achtsamkeit, im Moment zu bleiben und fokussierter zu arbeiten.

Achtsamkeit ist somit kein diffuser Zustand, sondern ein sehr konkretes Training, das tief auf die Funktionsweise unseres AD(H)S-Gehirns wirkt.


Wie ich Achtsamkeit in meinem AD(H)S-Alltag lebe


ree

Meditation ist nur eine Form der Achtsamkeit. Für mich ist sie ein guter Einstieg – aber keine Voraussetzung. Ich übe Achtsamkeit oft mitten im Alltag.

Ein Beispiel, das den einen oder anderen schmunzeln lässt: Wir haben ein Wohnmobil. Und dort wasche ich leidenschaftlich gern das Geschirr von Hand. Kein Geschirrspüler. Nur Wasser, Teller und Zeit. Das warme Wasser auf der Haut, die langsamen Bewegungen, das bewusste Abtrocknen – das alles tut meinem Kopf unglaublich gut. Ich bin ganz da, im Moment.

Gleichzeitig nutze ich aber auch angeleitete Meditationen. Besonders hilfreich finde ich die Apps Balloon und 7Mind. Beide bieten geführte Achtsamkeitsprogramme an und werden von den Krankenkassen gefördert. Ich nutze Balloon fast täglich. Zehn bis zwölf Minuten reichen oft aus, um bewusst zu atmen und zu beobachten, was in mir geschieht.

Besonders wichtig ist mir dabei nicht die perfekte Durchführung, sondern immer wieder zur Atmung zurückzukehren. Gedanken kommen – und gehen. Genau das ist Achtsamkeit.

Mit der Zeit habe ich gemerkt, wie ich länger bei der Atmung bleibe, länger bei meinen Körperempfindungen. Und genau dadurch verbessert sich die Konzentrationsfähigkeit. Für mich ist das eine der wirksamsten Strategien im Umgang mit AD(H)S geworden.


Einfache erste Schritte: Atemübungen & kleine Sequenzen


Viele erwachsene AD(H)Sler:innen, die zu mir in die Kurse kommen, sagen am Anfang: „Ich kann nicht atmen.“ Natürlich atmen wir alle – sonst wären wir nicht da. Aber bewusst atmen ist eine andere Erfahrung.

Eine einfache Übung, die ich oft nutze:

Rechte Hand aufs Herz, linke Hand auf den Bauch. Tief einatmen, spüren, wie sich der Bauch und der Brustkorb heben. Wichtig: länger ausatmen als einatmen. Zwischen Ein- und Ausatmung eine kurze Pause.

Diese Form der Atmung beruhigt messbar das Nervensystem – sogar den Blutdruck.

Und das Beste: Drei bis vier Minuten reichen aus. Niemand muss täglich eine halbe Stunde meditieren. Achtsamkeit beginnt immer im Kleinen.


Fazit: Achtsamkeit ist ein Geschenk – gerade bei AD(H)S


ree

Für mich war ein Schlüsselerlebnis, dass ich gelernt habe, Abstand zu meinen Gedanken zu gewinnen. Zu merken: „Da kommt ein Gedanke – und ich muss nicht aufspringen.“ Das war ein völlig neues Gefühl von Ruhe und innerer Klarheit.

Achtsamkeit ist kein großes Konzept, sondern etwas sehr Alltägliches. Sie stärkt Wohlbefinden, Aufmerksamkeit, Konzentration und Selbststeuerung – Kompetenzen, die für Menschen mit AD(H)S besonders wertvoll sind.

Ich kann nur ermutigen, es auszuprobieren. Es ist etwas ganz Besonderes, bewusst im gegenwärtigen Augenblick zu sein und den Moment zu spüren, statt von Gedanken fortgetragen zu werden.

Ich wünsche JEDEM, der aus ausprobiert, viel Freude und gute Erfahrungen auf diesem Weg – und bin gespannt, welche Rückmeldungen und Erlebnisse andere mit Achtsamkeit machen.


Eure Irina







 
 
bottom of page